Frank Vosse steht mitten im sogenannten PZ, dem Pädagogischen Zentrum der Roncalli-Schule in Ibbenbüren. Der offene Versammlungsraum ist der Mittelpunkt der bischöflichen Realschule. Doch anstatt zu Eltern, die ihre Kinder vielleicht demnächst an der Schule anmelden möchten, spricht der Schulleiter in eine Kamera: „Sehr gerne hätten wir Sie persönlich bei uns in der Schule begrüßt, damit Sie uns und wir Sie kennenlernen. Doch das geht aus bekannten Gründen nicht.“
Digitaler Einblick in die Schule
Corona macht´s nötig: Erstmals findet der Informationsabend digital statt. Vosse und die beiden Konrektoren Michael Sechelmann und Bettina Haje stellen die Schule im Video vor. Für den Schulleiter eine ungewohnte Situation: „Wenn ich sonst in die Gesichter der Eltern blicke, kann ich an ihrer Mimik und Gestik ablesen, ob die Informationen verständlich waren oder ob etwas unklar geblieben ist.“ Eine gute halbe Stunde lang zeigen Vosse und seine beiden Kollegen verschiedene Räume im Gebäude, erklären Besonderheiten der Fachbereiche und lassen den Geist der Schule durch die Linse lebendig werden. „Keine Frage, wir vermissen den persönlichen Kontakt zu unseren Schülerinnen und Schülern und in diesem Fall auch zu den Eltern“, betont Vosse. „Und doch haben wir durch die Einschränkungen der vergangenen Monate unsere Routineabläufe hinterfragt und vieles möglich gemacht, was noch vor einem Jahr undenkbar gewesen wäre.“
Dabei ist es nicht so, als hätte die Roncalli-Schule vor dem Ausbruch der Pandemie nicht schon über einen gewissen digitalen Standard verfügt. In allen Klassen-, Kurs- und Fachräumen gibt es ein Whiteboard, das Nachfolgemodell der grünen Kreidetafel. Über einen Beamer kann Apple TV angesteuert und es können Bildschirminhalte des IPads oder Macbooks an das Whiteboard gespiegelt werden. Analoge Medien können zudem über Dokumentenkameras gezeigt werden. „Der Charme liegt in der Kombination“, erklärt Vosse und gibt ein Beispiel: „Man kann im Erdkundeunterricht eine Karte an die Wand werfen und sie zeitgleich virtuell zum Beispiel mit einem Stift bearbeiten.“ Damit nicht nur die Lehrer digital arbeiten können, gibt es einen Pool an MacBooks und IPads, die für einzelne Stunden an die Schüler verteilt werden können. „Wenn alle am Unterricht Beteiligten mit einem Endgerät ausgestattet sind, eröffnet das ganz neue Möglichkeiten der Wissensvermittlung“, weiß Vosse. Auch über einen klassischen Informatikraum verfügt die Roncalli-Schule. Ob das Modell mit festen Computern ausgedient hat? „Man fängt schon an zu überlegen, ob man ihn noch braucht. Für den normalen Unterricht genügt die Technik in den Klassenräumen.“

© Achim Pohl - Bistum Münster
Doch die Hardware allein reicht nicht aus. Dankbar ist Vosse darum für die Bistumsplattform „schulbistum“, die alle 32 bischöflichen Schulen nutzen. In dem System hat jede Klasse ihren digitalen „Raum“, kommuniziert wird per Mail, Messenger oder Chat. Auch eine Konferenzfunktion ist seit kurzem verfügbar. Außerdem können Lehrende und Lernende Dateien bearbeiten und ablegen. Daneben besteht die Möglichkeit, Schultermine zu koordinieren sowie Geräte und Räume zu verwalten. Schon lange vor der Corona-Krise war das Bistum Münster als Schulträger visionär unterwegs. 2012 ging die Lernplattform an den Start, seit 2013 wird sie von allen Bistumsschulen genutzt.
Voneinander und miteinander lernen
„Natürlich waren nicht alle Kolleginnen und Kollegen in gleichem Maße begeistert, manche tun sich – und das ist ganz natürlich – schwer mit der medialen Entwicklung“, erklärt Vosse. In den ersten Jahren galt es darum, Ängste abzubauen und sich gemeinsam der Technik anzunähern. Erfahrene Lehrer schulten ihre Kollegen. „Gut funktioniert hat es, wenn alle Kollegen die Plattform nutzen mussten, zum Beispiel, als der Klassenarbeitsplan, der sonst gut sichtbar im Lehrerzimmer hing, nur noch als digitaler Plan verfügbar war“, berichtet der Schulleiter.
Er weiß um die Sorge mancher Kollegen, dass die Schüler ihnen „den Rang ablaufen“ in Sachen Digitalisierung. „Ja, die Kinder und Jugendlichen sind sicher flott, wenn es um Anwendungen von Apps geht oder das Bearbeiten von Fotos. Bei klassischen Dingen wie eine Ordnerstruktur zu erstellen, Formatierungsmerkmale zu kennen, Word-Dateien zu bearbeiten, ist das anders“, sagt Vosse. „Aber genau das braucht man später im Beruf.“ Von diesem Gedanken lassen sich die Lehrer der Roncalli-Schule leiten: Wie können wir die Schüler optimal auf die Arbeitswelt vorbereiten? „Und natürlich spielt die Digitalisierung auch bei Arbeitsprozessen des 21. Jahrhunderts eine wichtige Rolle. Wir können sie deshalb in der Schule nicht außen vorlassen“, ist Vosse überzeugt.
Vosse: "Das war für uns alle eine riesige Fortbildung."
Als „Beschleuniger“ der Digitalisierung im schulischen Bereich bezeichnet der Schulleiter die Corona-Pandemie. „Das war für uns alle eine riesige Fortbildung“, sagt er. Hätten er und seine Kollegen im ersten Lockdown noch überwiegend wochenweise Aufgaben gestellt, eröffnete der Zugang aller Schüler zu den Funktionen von Microsoft Office 365 seit November ganz neue Möglichkeiten für den zweiten Lockdown. Neben der Nutzung von Word, PowerPoint, Excel und Co. können nun auch Videokonferenzen über Teams samt Tafel-App abgehalten werden. „Wir sind also in der Lage, Unterricht nach Stundenplan zu erteilen – auch aus der Distanz.“ Dass das für alle Beteiligten, vor allem auch für die IT-Abteilung des Bistums, eine große Herausforderung in Sachen Sicherheit und Datenschutz war, weiß Vosse. Er gehört selbst dem IT-Gremium an, das Schnittstelle zwischen der IT-Abteilung und der bischöflichen Schulen ist.
Dem Schulleiter ist vor allem eines wichtig: „Es dürfen auch Fehler gemacht werden. Wir sind gemeinsam auf diesem Weg unterwegs.“ Mit einem Schmunzeln erinnert er sich beispielsweise an eine der ersten Videokonferenzen eines Kollegen, dessen Mikrofon plötzlich stumm geschaltet war. „Ein pfiffiger Schüler hatte erkannt, dass der Kollege eine Einstellung vorab nicht getroffen hatte, die das verhindert, und sich einen kleinen Spaß erlaubt“, erzählt Vosse. „Das gehört dazu. Es ist ‚Learning by doing‘.“ Er ist überzeugt, dass von der Art des Unterrichts während der Pandemie auch künftig einiges beibehalten wird. Materialien wie Texte, Bilder oder Videos müssen nicht mehr persönlich ausgeteilt werden, sondern können von überall jederzeit abgerufen werden: „Nur auf unsere Schüler vor Ort in der Schule, darauf möchten wir nicht noch einmal wieder verzichten müssen.“
Von Ann-Christin Ladermann (Bistum Münster)