Das Geosystem Erde in einem Klassenraum

  • Bildung um des Menschen willen | 07.01.2020

Ein ganzer Raum für Planeten, Mineralien und Fossilien: An der Katholischen Schule Hammer Kirche in Hamburg können sich Schülerinnen und Schüler dort mit Themen rund um die Erde und die dazugehörigen Naturwissenschaften beschäftigen. Der stellvertretende Schulleiter Hans-Martin Gürtler ist Begründer des Projekts GeoSystemErde – ein fächerübergreifendes Bildungsangebot der Schulen im Erzbistum Hamburg.

 

In der achten Klasse zersprang im Chemieunterricht direkt vor ihm ein Kolben. Zu lange ließ er den Bunsenbrenner an. Zurück blieb eine kleine Narbe über dem rechten Auge. Mit solchen chemischen Experimenten fing für Hans-Martin Gürtler alles an – seine Leidenschaft zum Entdecken und seine spätere Passion. Heute sagt Hans-Martin Gürtler: „Mein Chemielehrer hat mir das Forscher-Gen eingepflanzt“. Er studierte nach dem Abitur Sport und Englisch, nicht etwa Chemie. Doch die Erfahrungen des Chemie-Unterrichts machten ihn zu einem begeisterten Besucher der Mineralien-Messe Hamburg. Dass er irgendwann diese Messe beruflich besuchen würde, wusste Gürtler damals noch nicht.

Bildungsprojekt der Katholischen Schulen in Hamburg

Der 56-Jährige ist stellvertretender Schulleiter der Katholischen Grundschule Hammer Kirche in Hamburg und Begründer des Projekts GeoSystemErde (GSE). Dabei handelt es sich um ein fächerübergreifendes Bildungsprojekt der Schulen im Erzbistum Hamburg. Im Zentrum dieser Idee steht ein Raum im Untergeschoss der Schule Hammer Kirche. Eine detaillierte Beschreibung des Raums könnte bereits einen ganzen Artikel füllen. Nur so viel: Unser Sonnensystem hängt mehrfach von der Decke.

Ein Raum voller Kristalle, Fossilien und Steine

Auf der Fensterbank stehen der Big Ben und der Petersdom aus Legosteinen. Die Dinosaurier haben ihren Platz gefunden und eine echte Kralle der Urzeitmonster erinnert an sie. Zahllose Kristalle, Fossilien und Steine sind zu entdecken – aufgereiht wie in einem Steckkasten. Mitten drin steht strahlend Hans-Martin Gürtler. Das Projekt hat viele Preise gewonnen, unter anderem den Deutschen Lehrerpreis 2012. Für den 56-Jährigen ist das der einzige Preis, der wirklich zählt. Die Preisgelder hat er gleich wieder in neue Anschaffungen investiert. „Ich brauche nur noch die Bewerbungen zu schreiben“, erklärt der Pädagoge. Aber auch eigenes Geld und vor allen Dingen viele, viele Stunden Arbeit sind in die Umsetzung geflossen.

Aus vielen Aktionen wird "GeoSystemErde"

Der Startschuss für dieses Mammutprojekt fiel, wo auch sonst, auf der Mineralien-Messe. Vor mehr als zehn Jahren ging er das erste Mal mit Schülern dorthin – ein Schlüsselmoment: „Ein Schüler, der sich im Unterricht nicht konzentrieren konnte, hat eine halbe Stunde konzentriert daran gearbeitet, ein Fossil zu präparieren. Das ist schwer. Und jetzt sagen Sie mir warum?“ Die Antwort gibt sich Hans-Martin Gürtler selbst: „Das ist Motivation.“ Er organisierte daraufhin mehr solcher Mitmachaktionen. Die Klasse suchte im Archäologischen Museum Harburg systematisch Sand nach Münzen ab, wusch Gold oder schliff Opale.

"Bücher müssen zum Leben erweckt werden"

Dem Lehrer wurde bewusste, dass er einen Raum schaffen musste, in dem alles sichtbar wird. Ein Raum voller Möglichkeiten, der die Schüler zum Erforschen und Nachdenken anregt. „Früher konnten mir Schüler oft nicht folgen. Jetzt, wo sie alles selbst sehen können, anfassen können, geht das. Man bekommt die Schüler nicht durch Bücher. Die Bücher müssen zum Leben erweckt werden“, erklärt Gürtler.

Ein Spruch beherrscht seitdem das Tun des 56-Jährigen: Lernen sichtbar machen. Für ihn zählt nicht die pure Leistung, nicht das Auswendiglernen. Er möchte das „systemische Denken“ der Schüler anregen. Sie sollen die Zusammenhänge zwischen den Dingen verstehen. Das Forscher-Gen, welches sein Lehrer ihm damals einpflanzte, versucht er weiterzugeben. Und: Er trägt es noch immer in sich. Auch nach Jahren ist er mit seinen Überlegungen rund um das Universum, die Planeten, die Welt, ihre Bewohner, das Material, aus dem sie bestehen, noch nicht fertig. Einfache Antworten gefallen ihm nicht. Alle Ideen, Gedanken Hans-Martin Gürtlers folgen einem Mus­ter: hinterfragen, nachdenken, neubewerten. „Jede Zeit hat seinen eigenen Geist. Und momentan empfinde ich diese Zeit als die Phase der Kontemplation. Ich stelle mir Fragen, wie „Woher kommen wir?“ und „Wo gehen wir hin?“

Klimawandel ist zentrales Thema

Das Jahr 2019 hatte ein zentrales Thema – den Klimawandel. Auch den Lehrer treibt das Thema um: „Den jungen Leuten von heute gehört die Welt. Und ich finde: die Alten – ich sage das mal – haben versagt. Ich finde, das Thema so negiert zu haben, über so viele Jahrzehnte, hat erst dazu geführt, dass es jetzt so ist. Immer wurde der Profit als oberste Maxime gesetzt. Immer!“ Irgendwann, so Hans-Martin Gürtler, müsse die Menschheit ihr Tun zwangsläufig überdenken. Wasser- und Ressourcenknappheit werde den Menschen zum Überdenken zwingen.

Argumente, dass die Erde immer wieder von wechselnden Klimaeinflüssen beherrscht wurde und der Mensch auf sein Ende möglicherweise gar keinen Einfluss nehmen kann, überzeugen ihn nicht: „Die Eiszeiten entstanden in Dimensionen, die weit über unseren Horizont gehen. Können Sie sich eine Million Jahre vorstellen? Ich nicht. Uns betrifft das Leben jetzt. Jetzt müssen wir über unseren Umgang mit dem Planeten nachdenken.“ Für den Lehrer ist klar: Es muss sich etwas ändern. Und der Zeitgeist sei jetzt da: „Noch 2012 wäre Greta Thunberg gar nicht ernst genommen worden.“ Auch das Interesse und Verhalten der Schüler habe sich enorm gewandelt. Eine Entwicklung, die den Lehrer begeistert.

Raum lehrt auch Demut

Doch trotz aller Wünsche, dass der Mensch das Steuer nochmal rumreißt, weiß er als Hobby-Forscher auch: „Kein Hahn wird nach uns krähen.“ Denn auch das lehrt uns der Raum, ein Gefühl von Demut: „Der Homo Sapiens, der moderne Mensch, lebt erst seit 200.000 Jahren auf der Erde. Die Dinosaurier lebten 145 Millionen Jahre hier. Und auch sie dachten, die seien die Könige.“

 

Text und Foto: Joanna Figgen, Redakteurin Neue Kirchenzeitung Hamburg

 

Kontakt:

Katholische Schule Hammer Kirche

Bei der Hammer Kirche 10

20535 Hamburg

Tel.: 040 8788902-10

Internet

 

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