Erinnerung bewegt

  • Bildung um des Menschen willen | 31.10.2024

Darf man in einem ehemaligen Konzentrationslager tanzen? Insgesamt 23 Schülerinnen und Schüler aus sieben Schulen des Katholischen Schulwerks in Bayern haben genau das in der Gedenkstätte Flossenbürg getan. Im Rahmen des Projekts „Erinnerung bewegt“ näherten sich die Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren eine Woche lang gemeinsam mit dem Choreografen und Tanzpädagogen Alan Brooks der leidvollen Geschichte des Ortes.

 

In Zusammenarbeit mit dem museumspädagogischen Zentrum der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg und dem Tänzer, Choreograf und Tanzpädagogen Alan Brooks, der die künstlerische Leitung innehatte, wurde das Programm „Erinnerung bewegt“ erstmals für die Mitgliedsschulen des Katholischen Schulwerks in Bayern angeboten. Dem Workshop vom 30. September bis 4. Oktober zugrunde lag stets ein fachlicher Rahmen, das Schaffen von Bewusstsein für den Ort und die historischen Fakten. Der Tanz diente dem Ausdruck der Gefühle der Schülerinnen und Schüler, aber besonders dem Gedenken an die Menschen, die an diesem grausamen Ort gequält und getötet wurden. Das übergeordnete Ziel war es, ein Angebot zur Demokratie- und Werteerziehung für die Mitgliedsschulen des Katholischen Schulwerks in Bayern zu schaffen.

Berührungsängste abbauen

Nach der Ankunft und dem Kennenlernen versuchten sich die Schülerinnen und Schüler dem Ort anzunähern und innerlich anzukommen. In der Übung „Zeichnen auf der Treppe“ suchten sie sich einen Gegenstand dieses Ortes aus und zeichneten ihn. Damit wurden Berührungsängste abgebaut und in der anschließenden Reflexionsrunde besprochen. Der Museumspädagoge Christian Landgraf gab einen Überblick über das Gelände und führte durch die Dauerausstellung, um den fachlichen Hintergrund aller Teilnehmenden zu erweitern.

Es schloss sich die Einheit „Geschichte zum Anfassen“ an, in der für die Teilnehmenden Gegenstände bereitgestellt wurden, die für den Alltag eines KZ-Häftlings sehr wichtig waren. Zum einen ein Schuh, der besonders für die Arbeit im Steinbruch, den die Teilnehmenden ebenfalls besichtigten, unverzichtbar war. Ein Stück Stoff der Häftlingskleidung konnte haptisch erkundet werden, sowie ein Aufnäher mit einer Häftlingsnummer, die auf grausame Weise den Namen der Insassen ersetzte. Zudem war ein Löffel zu sehen, der unverzichtbar war, denn ohne Löffel bekamen die Häftlinge keine Nahrungszuteilung.

Identität und Individualität durch Kunst

Doch wie soll alles Leid und die unvorstellbare Grausamkeit, die dieser Ort vermittelt, nun mit Tanzen vereinbar sein? Alan Brooks zeigte zusammen mit Christian Landgraf, dass Kunst im Konzentrationslager verschiedene Funktionen erfüllte. Kunst wurde von den Häftlingen genutzt, um sich im Konzentrationslager Identität und Individualität – zumindest teilweise – zu erhalten. Unter Lebensgefahr führten sie einen kleinen Bleistift und ein Papierstückchen mit sich und zeichneten Bilder. Auch nach der Befreiung der Konzentrationslager diente die Kunst den ehemaligen Häftlingen dazu, das Unsagbare zu verarbeiten. Besonders bekannte Künstler, die ehemals im KZ Flossenbürg interniert waren, sind Richard Grunde, Georg Hans Trapp, Milos Volf und Eliane Jeannin-Garreau.

Die Workshop-Teilnehmenden wählten in Gruppen ein Kunstwerk, das sie besonders berührte und ihnen als Inspiration für ihre eigene Choreografie diente. Auch wurden Begriffe wie „Lebenswille, Gemeinschaft, Kommunikation, Angst, Unmenschlichkeit“, die von den Teilnehmenden artikuliert wurden, als Grundlage für den tänzerischen Ausdruck gewählt. Alan Brooks führte die Schülerinnen und Schüler in die Welt des Tanzens ein und leitete sie zu ihren ersten eigenen Solo-Duo- und Gruppenchoreografien an. Mit großer Ernsthaftigkeit, Demut und Konzentration arbeiteten die jungen Menschen an ihren Darstellungen und waren sich des Hintergrunds ihrer Arbeit stets bewusst. Sie wurden von Alan Brooks bei der Auswahl der Musik und der Umsetzung der Tanzelemente stets unterstützt.

Geschichte vermitteln, Persönlichkeit bilden

Die Tanzeinheiten wurden unterbrochen von verschiedenen Reflexionsphasen, in denen sowohl über die Geschehnisse im Lager, die Kunst der Häftlinge und über die persönlichen Empfindungen der Schülerinnen und Schüler gesprochen wurde. Neben der Vermittlung der Geschichte fand stets auch Persönlichkeitsbildung statt. Mit Fragestellungen, wie „Wann hörst du auf? Wie weit würdest du gehen?“ setzten sich die Teilnehmenden intensiv auseinander. Auch führte Christian Landgraf die Schülerinnen und Schüler auf die Burg Flossenbürg und erklärte Wissenswertes zur Burg an sich und dem Ort Flossenbürg.

Demokratie und Werteerziehung auf dem Programm

Das Abendprogramm bestand aus einer Einheit zur Demokratie- und Werteerziehung, in denen die Schülerinnen und Schüler einen für sie idealen Staat bauen sollten und ein gemeinsamer Kegelabend diente dazu, sich noch besser kennenzulernen und die Freundschaften zwischen den Teilnehmenden zu festigen.

Als abschließender Höhepunkt fand ein Festakt mit dem Direktor des Katholischen Schulwerks in Bayern, Dr. Peter Nothaft, den Schulleitungen und Eltern der Teilnehmenden statt. Referentin für Schulentwicklung und Evaluation, Dunja Müller, informierte in einer Reflexion über den Verlauf der Woche und die Schülerinnen und Schüler zeigten ihre selbst gestalteten Choreografien.

Diese neue Form der Erinnerungskultur erfährt finanzielle Förderung durch die Zentralstelle zur Förderung von Gedenkstättenfahrten außerschulischer Jugendgruppen, einer Abteilung der IBB gGmbH, welche im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend arbeitet. Sie hat ihren Sitz in Dortmund.

 

Text: Dunja Müller, Maria Bauer / mam

 

Kontakt:

Katholisches Schulwerk in Bayern

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