Welche Ungerechtigkeit auf der Welt würdest du sofort ändern, wenn du könntest? Bei welchem Unternehmen wärst du gerne Chef? Mit diesen Fragen starteten die teilnehmenden Jugendlichen am 26. Oktober in den Kurs „Wirtschaft und Ethik“, organisiert und durchgeführt von der Evangelischen Akademie der Pfalz. Fast hätte das historische Niedrigwasser im Rhein den Teilnehmern der Kick-off-Veranstaltung einen Strich durch die Rechnung gemacht. Denn ohne genügend Wasser im Fluss kann die Fähre nicht zum auf der Insel Nonnenwerth gelegenen Franziskus-Gymnasium übersetzen. Während sich die Lehrer derzeit im Unterrichten via Webinar versuchen oder Aufgaben per Mail verschicken, wurde der Kurs kurzerhand in ein Restaurant nach Remagen verlegt, das der Vater eines Schülers betreibt.
In eineinhalb Jahren zum Zertifikat „Wirtschaft und Ethik
Eineinhalb Jahre werden sich die Teilnehmer des Kurses „Wirtschaft und Ethik“ nun mit globaler Armut, der Zukunft der Arbeit und Ethik in Unternehmen beschäftigen – freiwillig und in der Freizeit. Neben den rund 15 Schülerinnen und Schülern der Klassen neun bis zwölf des Franziskus-Gymnasiums Nonnenwerth nehmen weitere 15 Mädchen und Jungen des Raiffeisen-Campus in Dernbach an dem Kurs teil. Finanziell unterstützt wird das Angebot vom Bildungsministerium.

Neben der Teilnahme an einer Einführung und drei Themenworkshops arbeiten die Jugendlichen parallel in Gruppen an Projekten, die sie am Ende des Kurses bei der Zertifikatsverleihung vorstellen. „Wir schauen uns Themen an und versuchen diese aus möglichst verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Religion ist dabei eine von vielen“, erklärt Jugendbildungsreferent und Kursleiter Felix Kirschbacher. Das Angebot in Kooperation mit den Schulen findet in dieser Form das erste Mal statt. Schon länger gibt es einen Zertifikatskurs für Jugendliche zwischen 15 und 26 Jahren rund um Landau. „Ich merke immer, spätestens nach dem zweiten Workshop passiert etwas. Die Teilnehmer wollen dann selbst aktiv werden und sagen: Ich will was machen“, erzählt der Wissenschaftliche Studienleiter der Evangelischen Akademie der Pfalz.
Ein Schwerpunkt liegt auf Wirtschaft: Von der AG zum Wahlpflicht-Fach
„Gerechtigkeit ist so ein Thema, das Jugendliche internalisiert haben“, findet Schulleiterin Andrea Monreal. Und so werde die Wirtschaft für viele Schülerinnen und Schüler spannend, wenn eine ethische Dimension mit hereinspiele. Und in dem Interesse der Mädchen und Jungen ist auch der wirtschaftliche Schwerpunkt des Insel-Gymnasiums Nonnenwerth verwurzelt, erinnert sich Astrid Heilmann-Cappel, Koordinatorin für das Fach Wirtschaft. "Die Schüler kamen damals mit dem Wunsch nach einer Wirtschafts-AG auf mich zu. Um daraus ein Unterrichtsfach zu machen, mussten wir dann einen Lehrplan schreiben. Und seit 2013 haben wir nun das Wahlpflicht-Facht Wirtschaft – damals als erste Schule in Rheinland-Pfalz“, erzählt die Lehrerin.
Grundlagen, Schülerfirmen, Vorlesungen
Im ersten Jahr des Wahlpflichtunterrichts beschäftigen sich die Jungen und Mädchen mit den Grundlagen der Wirtschaft, immer mit Bezug auf die eigene Lebensrealität: Wie kommt es zur Überschuldung von Jugendlichen? Wie wird man ein kritischer Verbraucher? Was muss man beim Online-Shopping beachten? Im Folgejahr setzen die Schüler ihr Wissen dann praktisch bei der Arbeit in einer Schülerfirma um. Und die muss alle grundlegenden Kriterien eines Wirtschaftsunternehmens erfüllen. Mit einem Businessplan reichen die Gruppen ihre Idee vorab beim Institut der Deutschen Wirtschaft ein. Ist die Idee genehmigt, gibt es Startkapital. Davon zahlen die Gruppen Produktionskosten, symbolische Stundenlöhne von 50 Cent und Steuern.
Dabei lernen die Schüler vor allem, Verantwortung zu übernehmen und bauen soziale Kompetenzen auf, berichtet Heilmann-Cappel. „Und das sind im Grunde alles franziskanische Themen: Wir beschäftigen uns dabei mit der Schöpfung und setzen uns mit dem Wert von Dingen auseinander“, erklärt die Pädagogin. Oft konnten sich die Jugendlichen schon über landes- und bundesweite Erfolge freuen. Eine Gruppe ließ sich ihr Produkt sogar patentieren. Durch eine Kooperation mit dem Rhein-Ahr-Campus in Remagen können die Schüler das Gelernte seit 2002 zudem wissenschaftlich fundieren. In zehn Vorlesungen lernen sie die grundlegenden Bausteine der Betriebswirtschaftslehre kennen.
Schüler: „Ich möchte lernen, wie ich selbst Einfluss ausüben kann“
Dass das Konzept funktioniert, zeigt sich auch am großen Interesse an dem Zertifikatskurs „Wirtschaft und Ethik“, sodass die Zahl der Interessenten die der möglichen Teilnehmer sogar überschritt. Der 16-jährige Lukas ist nach der Kick-off-Veranstaltung gespannt auf die weiteren Workshops. „Ich möchte lernen, wie ich selbst Einfluss auf die Politik und Unternehmen ausüben kann, zum Beispiel durch meinen Konsum. Außerdem interessiere ich mich dafür, welche Möglichkeiten es in Zukunft vielleicht geben könnte, wie zum Beispiel das bedingungslose Grundeinkommen“, erzählt der Elftklässler.
Diskussion mit Politikerin im Sozialkunde-LK
Viele Teilnehmer des Zertifikatskurses belegen auch den Sozialkunde-Leistungskurs bei Astrid Heilmann-Cappel. Der bekam an diesem Nachmittag noch Besuch von der Bundestagsabgeordneten Nicole Westig (FDP). Die Zehntklässler diskutierten mit der Politikerin über den Pflegenotstand in Deutschland, Künstliche Intelligenz und soziale Gerechtigkeit. Als pflegepolitische Sprecherin der Freien Demokraten gab Westig den Schülerinnen und Schülern Einblicke in die bundespolitische Arbeit und diskutierte mit ihren über die Pflege der Zukunft.
Von Maike Müller