Frage: Findet das an staatlichen Schulen auch statt, zum Beispiel im Religionsunterricht?
Gröger: Im Bistum Münster gibt es auch an staatlichen Schulen Schulseelsorger, die vom Bistum finanziert werden. Und der Religionsunterricht spielt auch eine Rolle. An den kirchlichen Schulen hat der religiöse Aspekt insgesamt aber eine ganz besondere Bedeutung. Die christliche Grundhaltung zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte unterrichtliche und erzieherische Handeln. Der Lernende steht im Fokus und es wird dafür Sorge getragen, dass kein junger Mensch verloren geht. Die Schulseelsorge leistet einen großen Beitrag, dass das Leitbild auch wirklich gelebt wird.
Frage: Die Kirche befindet sich aktuell in einer Krise. Ist das auch ein Thema für Ihre Schülerinnen und Schüler?
Gröger: Es gibt heute einen sehr kritischen Blick auf die Vergangenheit und Gegenwart kirchlicher Institutionen, dabei geht es immer wieder um die zentrale Frage der Glaubwürdigkeit. Wenn Schulseelsorge sich als „hörende Schulseelsorge“ versteht, dann wird der Schulseelsorger schnell feststellen, mit welchen Anfragen die Schülerinnen und Schüler in dieser Krisensituation an uns herantreten. Dazu gehört die Wahrnehmung der Realität, die heutzutage eine sehr heterogene und diverse ist. Die Frage nach Diversität, Geschlechtergerechtigkeit und Machtabgabe in der Kirche beschäftigt die Schüler. Wo Christen mit ihren unterschiedlichen Wirklichkeiten und Anfragen nach Antworten suchen, da ist die Offenheit ganz entscheidend. Darin liegen viele Chancen, die wir auch zukünftig wahrnehmen können. Denn die Realität, in der wir leben ist bunt, sie ist von Gott gewollt – das macht unseren Alltag aus.
Frage: Eine Reaktion auf die Krise der Kirche ist in Deutschland der Synodale Weg. Wurde der Bereich der Schulseelsorge in diesem Reformprozess bisher ihrer Meinung nach ausreichend mitbedacht?
Gröger: Der Synodale Weg ist bei den Jugendlichen an unserer Schule durchaus ein Thema. Das hat mich sehr erstaunt. Wenn wir im Religionsunterricht darüber ins Gespräch kommen, wissen die Schüler gut Bescheid. Sie legen mit großer Akribie den Finger in die Wunde und suchen auch in diesem Bereich nach Antworten.
Von dem, was ich bisher wahrgenommen habe, wird die Schulseelsorge im Rahmen des Synodalen Wegs nicht stark berücksichtigt. Ich vermisse Personen, die für die Sache brennen, die von der Schulseelsorge berührt und begeistert sind. Die in der Lage sind, die große Chance, die in diesem Bereich für die gesamte Kirche liegt, in derartige Prozesse mithineinzubringen.
Frage: Sie sind nicht nur als Schulseelsorger tätig, sie sind auch Religionslehrer. Wie nehmen Sie diese Doppelrolle wahr?
Gröger: Ich fange mal anders an: Wir haben einen großen Anstieg an Kirchenaustritten. Damit gehen auf Dauer die finanziellen Ressourcen in allen Bistümern zurück. Weiterhin stellen wir fest, dass wir immer weniger Menschen finden, die sich für Berufe der pastoralen Mitarbeit interessieren. Damit drängt sich für mich die Frage auf, wer in Zukunft noch als Vertreter der Kirche in den Schulen präsent sein wird. Mit den Religionslehrkräften haben wir Menschen, die weiterhin mit den Jugendlichen in Kontakt stehen. Im Bistum Münster zum Beispiel können sich (Religions-)Lehrerinnen und -lehrer in Pastoralkursen für Aufgaben in der Schulseelsorge ausbilden lassen. Und ich glaube, das ist ein sehr lohnender Weg.
Ich habe die Dopplung, sowohl als Religionslehrer als auch als Schulseelsorger tätig zu sein, immer als bereichernd empfunden. Im Schulalltag nehme ich mich als Seismograf für die Stimmungen und Bedarfe innerhalb der Schulgemeinschaft wahr. Ich höre genau hin, was die Menschen um mich herum beschäftigt und kann daraus dann die passenden Angebote im Schulalltag platzieren.
Frage: Sie haben den Begriff der „hörenden Schulseelsorge“ geprägt, den sie auch bereits angesprochen haben. Können Sie ihn genauer erklären?
Gröger: Wir leben heute in sehr unruhigen Zeiten. Auch der normale Schulalltag ist von Hektik geprägt. Gerade in diesem Kontext ist es wichtig, dass es Menschen gibt, die mit offenen Ohren unterwegs sind. Menschen, die auch die Dinge wahrnehmen, die zwischen den Sätzen ausgesprochen werden. Nur so kann ich erfahren was die Menschen bewegt, was ihre Sorgen, Ängste, Freuden, Sehnsüchte und Hoffnungen sind. Dabei gilt es der latenten Gefahr zu begegnen, bereits beim Hören dem Versuch einer Antwort zu erliegen oder oft bleiben wir sogar direkt bei uns selbst und erzählen, wenn der andere ausgeredet hat, von uns. Ein wirkliches Hören macht mich aufmerksam für das, was nicht direkt ausgesprochen wird, was aber innerlich mitschwingt.
Frage: Wenn Sie nochmal am Anfang Ihres Berufslebens wären, würden Sie wieder Schulseelsorger werden wollen?
Gröger: Auf jeden Fall! Ich würde mich neben meiner normalen Tätigkeit als Lehrer immer wieder für diesen speziellen Bereich im Schulalltag ausbilden lassen, weil es ein so herausforderndes und so vielfältiges Betätigungsfeld ist, in dem sich jeder nach seinen eigenen Fähigkeiten einbringen kann. Wenn man Interesse daran hat, junge Menschen zu begleiten, sie zu ermutigen und zu bestärken, dann ist das ein absoluter Traumjob.
Das Interview führte Maike Müller