"Mehr als nur ein Lernort"

  • Religiöse Bildung | 26.06.2020

Schule findet derzeit irgendwo zwischen Homeschooling und Präsenzunterricht statt. Was bedeutet das konkret für den Religionsunterricht? Wo liegen Chancen und Grenzen von digitalen Methoden speziell in diesem Fach? Und lassen sich die großen Fragen online überhaupt vermitteln? Darüber haben wir Andreas Thelen-Eiselen gesprochen. Er ist Lehrer an der St. Franziskus-Schule in Koblenz und Referent für Religionspädagogik im Bistum Limburg.

 

Frage: Der Präsenz-Unterricht an den Schulen wird langsam weiter hochgefahren. Wie läuft der Schulalltag unter den Corona-Rahmenbedingungen bei Ihnen?

Andreas Thelen-Eiselen: Unsere Schülerinnen und Schüler an der St. Franziskus-Schule lernen parallel im Homeschooling und haben Präsenzunterricht. Das heißt, die Hälfte der Klasse ist vor Ort, die andere Hälfte zu Hause. Die Organisation von Homeschooling und Präsenzunterricht gestalten die Schulen in der Praxis allerdings unterschiedlich. Insgesamt ist das schon ein Kraftaufwand. Gerade die Umsetzung der Hygienevorschriften war in den Anfängen eine Herausforderung. Mittlerweile hat sich hier eine gewisse Routine eingestellt. Wir mussten das Raumkonzept komplett neugestalten und haben die Klassenstufen auf unterschiedliche Gebäudeflügel verteilt. Es gibt verschiedene Ein- und Ausgänge, die Bewegungsfreiheit auf dem Schulhof ist stark eingeschränkt und es gibt feste Regeln zur Toilettennutzung. Die Liste ist umfangreich.

Ich muss aber auch sagen, dass unsere Schülerinnen und Schüler die neuen Vorschriften und Regelungen relativ gut angenommen haben. Das unterstützt uns Lehrkräfte schon sehr. Letztlich sitzen wir ja auch alle in einem Boot. Gemäß unseres Schulmottos: Gemeinsam unterwegs.

Frage: Wie haben Sie die letzten Monate im Homeschooling erlebt? Wie geht es ihren Schülerinnen und Schülern damit? Und wie geht es Ihnen als Lehrkraft?

Thelen-Eiselen: Das war für alle Beteiligten nicht nur eine große Umstellung, sondern auch eine Herausforderung. Insbesondere die Eltern leisten hier eine tolle Arbeit. So manches, was im Unterricht ausführlich besprochen wird, wozu es Nachfragen oder Diskussionen gibt, ist zu Hause in dieser Form nicht möglich. Da müssen Eltern teilweise einspringen. Das parallel zum Alltag und zu einer beruflichen Belastung zu leisten, ist sicher nicht immer einfach.

Die Schülerinnen und Schüler gehen mit der Belastung unterschiedlich um. Ich würde gar nicht sagen, dass das für alle gleichermaßen einfach oder schwer ist. Allen gemeinsam ist natürlich der fehlende Kontakt zu den Klassenkameraden. Schule ist ja mehr als nur ein Lernort. Schule ist auch ein Ort der Begegnung.

Als Lehrkraft muss man in der Unterrichtsgestaltung umdenken. Das Homeschooling macht die Vorbereitung aus meiner Sicht zeitaufwendiger. Ich muss die Inhalte so aufbereiten, dass möglichst wenig Fragen auftreten. Ich kann ja nicht erwarten, dass Eltern zu Hause quer durch den Fächerkanon hindurch Rede und Antwort stehen können – und auch die Zeit dafür haben. Das ist gar nicht möglich.

Für mich persönlich wäre ein dauerhaftes Homeschooling auf jeden Fall keine Alternative. Da fehlt einfach die zwischenmenschliche Beziehung, der Austausch, das gemeinsame Miteinander sowie die Beratung im Unterricht. Gemeinsame Projekte und Ausflüge, Feste oder Gottesdienste sind ebenfalls nicht möglich. An die Stelle kann man keine sozialen Medien setzen. Das geht einfach nicht.

Frage: Wie kommunizieren Sie mit den Schülerinnen und Schülern beim Lernen auf Distanz?

Thelen-Eiselen: Ich bin per Mail erreichbar. Und ganz klassisch per Telefon. Und es gibt die Möglichkeit über die App Schulcloud zu chatten. Ein Kollege unserer Schule hat die App vor einiger Zeit in einer Testphase eingerichtet. Allerdings war der Run darauf in den ersten Tagen nach der offiziellen Schulschließung so groß, dass das System offline war. Daher können wir diese Möglichkeit nicht für alle anbieten. Leider gibt es faktisch wenige Alternativen. Viele Softwareangebote scheitern an der Datenschutzgrundverordnung.

Frage: Wie lassen sich die großen Fragen, um die es ja im Religionsunterricht geht, digital vermitteln?

Thelen-Eiselen: Alles lässt sich in meinen Augen über digitale Methoden nicht vermitteln. Klar, bei reinem Fachwissen funktioniert das. Als Beispiel nenne ich jetzt mal Paulus. Natürlich kann ich das Leben des Paulus mit meinen Schülern digital erarbeiten. Dazu brauche ich keinen großen Austausch. Aber wenn man etwas tiefer geht und sich anschaut, was sich im Leben dieses Menschen verändert hat, dann entwickeln sich Diskussionen aus dem Unterrichtsgeschehen heraus. Da kommen dann ganz zentrale Fragestellungen und es tauchen Aspekte auf, die man noch gar nicht im Blick hatte.

 

Andreas Thelen-Eiselen (Foto privat)

 

Ein rein digitaler Unterricht wäre für mich auf Dauer nicht vorstellbar. So sehr ich digitale Medien schätze. Aber eine Verschränkung von „analogem“ Unterricht vor Ort und einem digitalen Lernen, das erachte ich hingegen als überaus gewinnbringend. Am Ende gilt: Die Mischung macht´s.

Frage: Wie haben Sie das in den vergangenen Monaten konkret gelöst? Wie sah der Religionsunterricht aus?

Thelen-Eiselen: Während der Umstrukturierung nach den Schulschließungen haben wir zeitweise nicht alle Nebenfächer unterrichtet. Einerseits, um die SchülerInnen nicht zu überfordern und andererseits, um die Eltern in gewissen Teilen zu entlasten. Aber wir haben online Aufgaben bereitgestellt und Rückmeldungen auf die Ergebnisse gegeben. Aber wie gesagt, da fehlte der direkte Austausch. Und Sie haben ja eben schon davon gesprochen: Was ist mit den großen Fragen?

Frage: Haben Sie schon vor der Corona-Zeit mit digitalen Methoden im Unterricht gearbeitet?

Thelen-Eiselen: Ich würde mich selbst als technikaffin bezeichnen. Ich nutze gerne neue Medien, probiere gerne aus. Ich bin zum Beispiel schon seit vielen Jahren mit einem iPad in der Schule unterwegs, weil ich das vielfältig einsetzen kann. Das schätze ich schon sehr. Der Einsatz im Unterricht ist allerdings auch mit Hürden verbunden. Man braucht eine geeignete Hard- und Software auf Lehrer- und Schülerseite. Und das ist eine Technik, die zudem gepflegt werden muss. Das ist für eine gesamte Schule schon ein Mammutprojekt. Und man braucht eine entsprechende Infrastruktur, beim WLAN angefangen. Die Arbeit mit digitalen Methoden steckt schulisch eher noch in den Kinderschuhen. Und mit Blick auf den Religionsunterricht ist die Palette an Medien noch nicht so ausgestattet wie das beispielsweise in den Hauptfächern der Fall ist. Da würde ich sagen, ist im Bereich des Religionsunterrichts noch Luft nach oben. Schule ist ein System, dass sich fortlaufend verändert. Darauf muss man angemessen reagieren.

Frage: Sie arbeiten neben Ihrer Tätigkeit in der Schule mit halber Stelle beim Bistum Limburg. Hatten Sie da die Möglichkeit, auf die veränderten Umstände zu reagieren?

Thelen-Eiselen: In der Redaktion des Magazins EULENFISCH haben wir ein eTorial zum Thema Barmherzigkeit erstellt. Das ist eine neue Form des digitalen Wissenstransfers. Es verbindet verschiedene digitale Medien wie Podcast, Interview, YouTube-Video oder auch PDF-Dokumente in einer intelligenten, aber auch nutzerfreundlichen Weise miteinander.

Gleichzeitig haben wir geschaut, welche schulpastoralen Anregungen wir unseren Kolleginnen und Kollegen in den Schulen geben können. Es gab zum Beispiel zwei Wochen lang Text-Bild-Impulse zum Kreuzweg, die im YouTube-Kanal des EULENFISCHs zu sehen sind. Die Bilder stammen aus einem Projekt, das ich mal mit einer Klasse durchgeführt habe. Und einen Großteil der Texte haben Schüler geschrieben.

Frage: Werfen wir einmal den Blick auf die Zeit nach Corona. Werden die positiven Aspekte des Distanzlernens bleiben?

Thelen-Eiselen: Wir haben vom Bistum Limburg ein Webinar zum Thema interreligiöser Dialog mit dem islamischen Theologen Professor Mouhanad Khorchide organisiert – jeweils eine Veranstaltung für Lehrkräfte und für Schülerinnen und Schüler. Webinare sind sicher etwas, was man nachhaltig in der Schule verankern kann. Wenn man mit bestimmten Persönlichkeiten in einen Austausch treten will, kann man das via Internet gut realisieren, ohne lange Anreise. Wie viel von diesen positiven Seiten bleibt, wird sich zeigen. Was sicherlich deutlich wurde, ist inwieweit die Infrastruktur für digitales Lernen ausgebaut werden muss und an welchen Stellen es noch hapert. Wir haben gesehen, dass digitale Bildung einen besonderen Stellenwert hat. Aber die Voraussetzungen dafür müssen gesichert sein.

Frage: Wo liegen die Chancen und wo die Grenzen von digitalem Unterricht und Distanzlernen speziell mit Blick auf den Religionsunterricht?

Thelen-Eiselen: Ich denke, eine besondere Chance liegt darin, dass sich die inhaltliche Arbeit maßgeblich weiterentwickeln kann und muss. Das eTorial ist ein Beispiel dafür. Ich würde mir wünschen, dass die Lehrwerke durch digitale Inhalte erweitert werden. Da ist in meinen Augen bislang wenig bis gar nichts passiert. Damit steht das Fach Religion aber auch nicht allein da. Deutsch, Mathe, Englisch und die Naturwissenschaften werden da wesentlich stärker bedient. Was ich mir auch wünschen würde, wäre ein stärkeres Engagement der Kirchen, die digitale Entwicklung in diesem Bereich voran zu bringen, um die Qualität des Religionsunterrichts nachhaltig zu sichern.

Die Grenzen liegen klar im Austausch. Nicht alles lässt sich im digitalen Raum bearbeiten. Der Unterricht lebt von den Beiträgen der Schüler, von den Gedanken, von den Gefühlen. All das, was in die Diskussion miteingebracht wird. Und Religionsunterricht hat ja auch ganz konkret etwas mit dem eigenen Leben zu tun, mit der eigenen Person.

Frage: Wie besteht der Religionsunterricht gegenüber „harten“ Fächern wie Deutsch, Mathe oder Englisch? Welchen Stellenwert hat er im Stundenplan derzeit?

Thelen-Eiselen: Aus meiner Sicht als Lehrer an einer Katholischen Schule hat der Religionsunterricht natürlich einen bedeutsamen Stellenwert. Über die zwei Wochenstunden hinaus haben wir Projekte, die weitere Stunden benötigen. Das stellt auch kein Hindernis dar. Das Kollegium hat das stets mitgetragen, weil es als Gewinn für die gesamte Schulgemeinsaft wahrgenommen wird. Aber das sieht an staatlichen Schulen teils auch anders aus. Immer wieder steht die Frage nach der Lebensrelevanz des Religionsunterrichts im Raum. Der wird bei Mathe, Deutsch, Englisch überhaupt nicht gestellt. Scheinbar sind das Fächer, die man im Alltag besser gebrauchen kann. Dabei werden im Religionsunterricht wesentliche Fragen zu unserem Menschsein gestellt. Der Religionsunterricht nimmt die religiösen Fragen der Kinder ernst, dient der Religionsfreiheit und gehört zum schulischen Bildungsauftrag. Er vermittelt lebensbedeutsames Grundwissen über den Glauben, macht mit Formen gelebten Glaubens vertraut und fördert die religiöse Dialog- und Urteilsfähigkeit. Eine systematische Beschäftigung mit diesen Inhalten erfordert ein eigenständiges Fach.

Frage: Für viele Schülerinnen und Schüler war und ist die Corona-Krise geprägt von Unsicherheit, vielleicht auch von Spannungen in der Familie oder Einsamkeit. Sind Religionslehrer in dieser Zeit auch Seelsorger?

Thelen-Eiselen: Das hoffe ich doch sehr! Zumindest verstehen wir unsere Aufgabe an der St. Franziskus-Schule so. Während der Krise standen wir im Schulpastoralteam und auch seitens der Schulsozialarbeit für die Sorgen, Ängste und Nöte beratend zur Seite. Es gab und gibt die Möglichkeit uns per Mail anzuschreiben oder telefonisch in Kontakt zu treten. Die Betroffenen in der Krise allein stehen zu lassen, das wäre ja auch schlichtweg falsch. Nur der Rahmen musste eben angepasst werden. Persönliche Gespräche waren nicht möglich. Aber durch die neuen Medien sowie Telefon und Co. gibt es andere Wege, um in Kontakt zu treten.

Frage: Sie arbeiten an einer Katholischen Schule. Gab es dort schulpastorale Projekte oder Aktionen mit Blick auf die Corona-Krise?

Thelen-Eiselen: Katholische Schulen verstehen sich immer auch als Kirchorte. Schulpastorale Projekte sind da ein wichtiger Bestandteil des Schullebens. Angebote wie Tage der religiösen Orientierung, Pausenoasen und Gottesdienste sind durch die Pandemie derzeit leider nicht zu realisieren, wenngleich die Nachfrage auf Schülerseite vorhanden ist. Wir haben stattdessen versucht, der ganzen Schulgemeinschaft immer wieder Impulse zu vermitteln, zum Beispiel während der Fastenzeit via YouTube. Besonders wichtig ist uns, die Beratung aufrecht zu halten. Ich denke, ansprechbar und füreinander da zu sein, das ist während dieser Zeit der Krise das Wichtigste.

Das Interview führte Maike Müller

Der Text ist gleichzeitig erschienen auf unserem Partnerportal rpp-katholisch.de

 

Zur Person:

Andreas Thelen-Eiselen ist Lehrer an der St. Franziskus-Schule Koblenz. Zudem ist er Referent für Religionspädagogik im Bistum Limburg und Redaktionsmitglied des Limburger Magazins für Religion und Bildung EULENFISCH. Im Mai 2020 erschien von ihm und Illustrator Martin Haake das Wimmelbuch „Heilige Katharina Kaspar“ im Bonifatius-Verlag.