Hat ChatGPT eine Seele?

  • Religiöse Bildung | 18.10.2024

Wer sind wir? Wer wollen wir werden? Und was unterscheidet den Menschen von der Maschine? An diesen Fragen kommen Lehrkräfte im Religionsunterricht, in der Schulpastoral und auch an Katholischen Schulen heute nicht mehr vorbei. Passend dazu drehte sich bei der 42. Pädagogischen Woche des Erzbistums Köln alles um das Thema Künstliche Intelligenz. Vom 7. bis 11. Oktober beschäftigten sich die insgesamt rund 700 Teilnehmenden unter anderem mit Virtual Reality im Religionsunterricht und den Auswirkungen von KI auf die großen Fragen des Lebens.

 

Hat ChatGPT eine Seele? Diese Frage hatte Thomas Pitsch, Leiter der Abteilung Schule & Hochschule des Erzbistums Köln, in Vorbereitung auf die Pädagogische Woche dem bekannten Chatbot selbst gestellt. Dieser habe verneint und vorgeschlagen, das Thema zu wechseln, berichtete Pitsch in seiner Begrüßung am Montagabend. Die diesjährige Pädagogische Woche stand unter dem Motto „Mit Leib und Seele. Die Tragweite Künstlicher Intelligenzen für Leben, Lernen, Glauben“.

Anschließend betonte Pitsch, dass die Seele den Menschen vom Roboter unterscheiden würde und in enger Verbindung mit der Identität und Würde des Menschen stehe. Insbesondere Mitarbeiter im Bildungsbereich trügen die Verantwortung, die Diskussion anzuregen und zu leiten, um sicherzustellen, dass wir Menschen nicht nur auf Daten reduziert würden. Und ergänzte: „Katholische Schulen und der Religionsunterricht sind Orte, die Orientierung geben können.“ Anschließend leitete er über zum Hauptredner Urban Mauer, Staatssekretär im Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen, indem er ChatGPT nach dem Politiker befragte.

Möglichkeiten von KI im Bildungskontext

In seinem Festvortrag verdeutlichte Mauer, dass KI sowohl das Beste als auch das Schlimmste sein könnte, was Bildung passieren könne. Der Einfluss von KI sei bereits allgegenwärtig: Sei es in der Medizin oder in Form einer Assistentin wie Siri oder Alexa. Gleichzeitig würde KI aber auch zur Verbreitung von Fehlinformationen oder auch zur Programmierung von autonomen Waffen genutzt. Im Gegensatz zum Menschen lese eine KI nur Daten aus, um Muster zu erkennen; es fehle ihr an menschlichen Fähigkeiten wie dem Sammeln von Erfahrungen, logischem Denken und am Empfinden von Gefühlen.

Im Bildungskontext könne KI helfen, Schwächen von Schülerinnen und Schülern zu erkennen, wodurch Lehrkräfte sie effizienter fördern könnten. Lehrkräfte könnten außerdem von einer Vorkorrektur durch die KI profitieren. Für einen solch positiven Nutzen sei jedoch ein Grundverständnis der Informatik, insbesondere des Programmierens, unerlässlich. Das Ministerium arbeite momentan daran, KI und Virtual Reality an Schulen zu etablieren, weshalb 3000 VR-Brillen vom Land an Schulen verteilt würden. Die virtuelle Realität könne zum Beispiel im Geschichtsunterricht auf eine Zeitreise einladen, jedoch müssten die Lehrkräfte für solche Ideen stetig weiter qualifiziert werden.

Grundlegende Kompetenzen unerlässlich für gesellschaftliches Miteinander

Gleichzeitig dürften grundlegende Kompetenzen wie kritisches Denken, Lesen und Schreiben auf keinen Fall verloren gehen, da sie für das gesellschaftliche Miteinander unerlässlich seien, sagte Mauer. Lehrkräfte müssten mehr denn je den Schülern und Schülerinnen Orientierung bieten. Insbesondere im Religionsunterricht müssten gesellschaftliche und ethnische Debatten ausgetragen werden. Über Grenzen hinweg sollte das Fach einen Perspektivwechsel anbieten und auch in Zeiten, in denen viele Menschen keiner Religionsgemeinschaft zugehörten, zum interreligiösen Dialog einladen. Kompetente Lehrkräfte, aber auch Kultur und Sport, so Mauer, seien besonders relevant, um Jugendliche zu ausgeglichenen Erwachsenen zu machen.

 

v.l.n.r.: Abteilungsleiter Thomas Pitsch, Staatssekretär Urban Mauer, Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki

 

Gleichzeitig sei die menschliche Intelligenz gefragter denn je, betonte der Staatssekretär. Einige Länder hätten bereits wieder einen analogeren Weg eingeschlagen und zum Beispiel handyfreie Schultage eingeführt. Mauer betonte zum Abschluss wie komplex die Thematik sei und appellierte an einen konstruktiv-kritischen Umgang, bei dem Freiheit, Würde und Menschlichkeit nicht auf der Strecke blieben.

Chancen sehen, Herausforderungen im Blick behalten

Im Vorfeld der Pädagogischen Woche hatte Christoph Westemeyer, Fachbereichsleiter im Erzbistum Köln im Bereich Schule & Hochschule Religionsunterricht, Lehrerbildung und öffentliche Schulen, im Domradio-Interview über das Tagungsthema gesprochen. Darin bezeichnete er Künstliche Intelligenz als eine große Herausforderung für die religiöse Bildung. Das betreffe auch die Schulen, die im Falle der erzbischöflichen Schulen um einen guten Umgang mit der Technik bemüht seien. „Wir wollen aber nicht nur die Technik gut bedienen können, sondern auch die Ethik berücksichtigen. Kann ich auch ethisch gut mit Technik umgehen? Wir versuchen immer die Chancen zu sehen und dabei die Herausforderungen im Blick zu behalten.“

Paganini über KI in Alltag und Gesellschaft

Die ethische Dimension des Tagungsthemas wurde auch in den weiteren Vorträgen der Woche aufgegriffen. Impulse, wie Künstliche Intelligenz Alltag und Gesellschaft bereits beeinflussen, gab am Donnerstagvormittag Claudia Paganini, Professorin für Medienethik an der Hochschule für Philosophie in München. „Medienumbrüche haben Gesellschaften immer massiv irritiert und vulnerabel gemacht, sowohl als Gemeinschaft als auch den einzelnen“, sagte die gebürtige Innsbruckerin eingangs. Mit Blick auf die Umbrüche durch Künstliche Intelligenz(en) im Bildungskontext ermutigte sie Eltern und Lehrkräfte in digitalen Welten zu ebenso großem Engagement wie in der realen Welt.

Büsch: „Wenn KI das menschliche Denken ersetzt, ist sie in Bildungskontexten ein No-Go“

Anschließend sprach Andreas Büsch, Professor für Medienpädagogik und Kommunikationswissenschaften an der Katholischen Hochschule Mainz, über die medien- und religionspädagogischen Herausforderungen durch KI. Auf Grund von Krankheit nahm er digital per Videotelefonie an der Podiumsdiskussion mit Professorin Paganini teil. Er sprach über Medienkompetenz als eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für den Umgang mit Künstlichen Intelligenzen. Vielmehr müsse die Beschäftigung damit in der Schule über Information und Anwendung der Technik hinausgehen. Neben der Medienkritik, also der Analyse und Reflektion von KI müssten Schülerinnen und Schüler demnach auch in der Lage sein, Medien selbst zu gestalten. Die Analogie von Künstlicher Intelligenz als Werkzeug bezeichnete Professor Büsch als irreführend und gar gefährlich. „Wenn KI das menschliche Denken ersetzt, ist sie in Bildungskontexten ein No-Go“, sagte er abschließend.

Seminare greifen Tagungsthema auf

An den Nachmittagen der Veranstaltungswoche konnten die Teilnehmenden Seminare wie „KI-Bots – Alleskönner in der Schule?“, „Fakt oder Fake? Kennenlernen von Ideen und Tools zur Schulung des Umgangs mit Fake News im Religionsunterricht“ oder „KI trifft Eschatologie. Die christliche Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod und der Wunsch nach Unsterblichkeit“ besuchen. Im Workshop „Den Blickpunkt wechseln – Der Einsatz von KI und VR/AR im Religionsunterricht“ gaben die Religions- und Chemielehrkräfte Sandra und David Jansen Einblicke in die Möglichkeiten von Virtual Reality und Augmented Reality – also virtueller und erweiterter Realität - im Religionsunterricht. Die Teilnehmenden hatten die Möglichkeit, die mitgebrachten VR-Brillen auszuprobieren und virtuell an einem Gottesdienst teilzunehmen oder eine Moschee zu besuchen. Diese Technik eröffne zum Beispiel neue Möglichkeiten für die Kirchraumerfahrung. Die Teilnehmenden waren sich aber abschließend einig, dass diese nur eine Ergänzung zum realen Besuch und menschlichen Kontakt sein könne.

Austausch mit Mensch und Maschine

Die Pausen zwischen den Vorträgen und Workshops konnten nicht nur für den kollegialen Austausch genutzt werden, sondern auch, um Künstlichen Intelligenzen direkt zu begegnen. So versorgte der Pflegeroboter Jamie die Teilnehmenden mit frischem Obst. Für geistige Nahrung sorgte eine Kunstausstellung von Schülerinnen und Schülern der Erzbischöflichen Liebfrauenschule in Köln zum Thema Künstliche Intelligenz, durch die sich Interessierte von Roboter Aria führen lassen konnten.

 

Pflegeroboter Jamie im Einsatz bei der Pädagogischen Woche

 

Zwei Tage für pädagogisches Personal an Katholischen Schulen

Zwei Veranstaltungstage richteten sich an Lehrkräfte und das Leitungspersonal an Katholischen Schulen in freier Trägerschaft. Dabei stand unter anderem eine ethische Reflexion über die Vor- und Nachteile von KI in der Schule auf dem Programm. „Niemals krank, rund um die Uhr erreichbar, verfügt über das gesamte Weltwissen – ist ein KI-Chatbot die bessere Lehrkraft?“ lautete die provokante Frage, über die die Teilnehmenden sich mit Experten und untereinander in den angebotenen Seminaren austauschten.

 

(mam)

Bilder: Erzbistum Köln / Jelen

 

Die Pädagogische Woche des Erzbistums Köln

Seit 1983 findet die Pädagogische Woche im Kölner Maternushaus jährlich als Fortbildungsveranstaltung zu einem zentralen religionspädagogischen Thema statt. Sie wendet sich an Religionslehrerinnen und Religionslehrer aller Schulformen im Erzbistum Köln sowie an die Lehrerinnen und Lehrer an Schulen in Katholischer freier Trägerschaft. Sie findet in Kooperation mit dem Institut für Lehrerfortbildung (IfL) statt.