37 Grad im Schatten zeigt das Thermometer der kleinen Polizeistation im beschaulichen Dorf Thiberville in der Normandie an. Unter den Bäumen vor dem Gebäude suchen 19 Schülerinnen und Schüler des Mainzer Gymnasium Theresianum und ihre begleitenden Lehrer für ein paar Minuten Schutz vor der gnadenlos brennenden Sonne. Erschöpft, schweißgebadet sind sie und doch frohen Mutes. Denn das Ziel ihrer Wallfahrt, die sie mit dem Rad von Mainz aus rund 850 Kilometer in die Normandie geführt hat, liegt nun zum Greifen nah: Die Kleinstadt Lisieux – die Wirkungsstätte der Heiligen Theresia vom Kinde Jesu.
Unterwegs nach Lisieux
Lange kannten die Schülerinnen und Schüler des Theresianum ihre Schulpatronin nur aus dem Gottesdienst. Zum 90. Schuljubiläum des Gymnasiums in Trägerschaft des Bistums Mainz entstand daher die Idee, sich auf die Spuren der Heiligen Theresia zu begeben. Im Juni 2017 wurde die Idee in die Tat umgesetzt: Insgesamt 52 Schüler und sechs betreuende Lehrkräfte machten sich in zwei Gruppen auf den Weg und starteten ihre Pilgerreise entweder von Mainz aus mit dem Rad oder von der französischen Küstenstadt Honfleur aus zu Fuß zum zweitgrößten Wallfahrtsort Frankreichs.
Die Küstenstadt Honfleur, Frankreich - © djekker / Fotolia.com
Schule mit Profil: Das Theresianum
Solche Aktionen passen gut zum Selbstverständnis des Theresianum, einem staatlich anerkannten Ganztagsgymnasium in Trägerschaft des Bistums Mainz. Einer der Leitsätze des katholischen Hauses lautet, Schule als Lebensfeld zu begreifen und zu gestalten. „Unsere Schule ist mehr als den ganzen Tag nur Schule“, heißt es im Schulprofil auf der Website. Erfahrungen mit dem eigenen Glauben sollen sich nicht auf den Religionsunterricht beschränken. Die namensgebende Schulpatronin ist die Heilige Thérèse von Lisieux. Bereits als Jugendliche trat Thérèse dem Karmeliterorden bei und widmete ihr Leben der Hingabe an Gott und ihre Mitmenschen, besonders mit kleinen Gesten im Alltag - ihr sogenannter "kleiner Weg".
Vier Länder in zehn Tagen
Zehn Tage lang führt die Reise die Radpilger der Jahrgangsstufen neun bis elf sowie ihre Betreuer quer durch vier Länder. Die Pilgerreise verlangt allen Beteiligten viel ab: Übernachtungen in Turnhallen und Tipis versprechen nicht gerade erholsamen Schlaf. Zusätzlich machen vor allem in den letzten Tagen der Reise Temperaturen weit über 30 Grad in fast baumlosem Gelände das Radfahren mühsam und einige Etappen fallen länger aus als gedacht. Denn manche Anstiege sind mit der großen Gruppe auf stark befahrenen Straßen nicht machbar, weshalb spontane Umwege nötig sind. Zur Aufmunterung bekommen die Teilnehmer jeden Morgen einen Glückskeks mit einem persönlichen Zuspruch der Heiligen. An einen erinnert sich der Schüler Mathis Scholz besonders. „Die Null hat keinen Wert, doch in der Verbindung mit der Eins wird sie mächtig, wenn sie sich auf die richtige Seite stellt“, berichtet der 16-Jährige.
Die Radpilger bei der Ankunft in Lisieux - © Stephan Kurz-Giesler, Uwe Seiffert
Singen, beten, reden: Unterwegs nach Lisieux
Die Gruppe der Fußpilger unter der Leitung des stellvertretenden Schulleiters Stephan Kurz-Gieseler und weiteren Lehrern ist insgesamt vier Tage unterwegs. Auch sie betreten Neuland. „Erst mussten wir uns finden und Regeln festlegen: Singen, beten, reden – und wie wir miteinander umgehen“, stellt Kurz-Gieseler rückblickend fest. Doch nach kürzester Zeit sei alles wie selbstverständlich gelaufen. Dabei habe offenbar auch der Geist der heiligen Thérèse gewirkt, ist sich Schülerin Sara Dormann sicher. „Am Anfang stand der Reiseaspekt für mich im Vordergrund. Ich wollte eine schöne Zeit mit meiner besten Freundin verbringen. Am Ende war unsere Gruppe wie eine kleine Familie. Es war einem auch beispielsweise nicht peinlich, wenn man mal laut gesungen hat“, berichtet die 17-Jährige.
Das Ziel im Visier
Etwa 20 Kilometer hinter Thiberville ist der lang ersehnte Moment gekommen: Das Ortsschild von Lisieux ist in Sicht. Die Radpilger stoppen: Fotoshooting ist angesagt. Trotz der Strapazen strahlen alle. „Es war unglaublich, diese Freude zu sehen. In der Mittagshitze. Schweißnass. Aber alle hatten ein besonderes Lächeln auf den Lippen“, erinnert sich Eva Weskamp, die Initiatorin der Radwallfahrt.
Die Basilika Sainte-Thérèse - © Julien / Fotolia.com
Die Basilika von innen - © claudebencimon / Fotolia.com
In Lisieux treffen sich Rad- und Fußpilger schließlich in der seit 1926 existierenden Pilgerherberge „Ermitage Sainte-Thérèse“, die von den Schwestern der Dienerinnen der Heiligen Thérèse geführt wird. Die Freude über das Wiedersehen ist groß, nach der gemeinsamen Andacht gibt es eine Menge Erfahrungen und Erlebnisse auszutauschen.
Was bleibt
Was bleibt, sind Erinnerungen. An einen bewegenden Gottesdienst im Karmeliterkloster. An die Ordensschwestern, die vor Begeisterung über die singend durchs Haus ziehenden Jugendlichen ihre Handys zücken und Fotos von der Gruppe machen. An die Morgenandachten und Gottesdienste mit ihren Liedern und Gebeten. An die gemeinsamen Abende mit Gitarre und Gesang. An den Besuch der Basilika Sainte-Thérèse in Lisieux. Was bleibt ist die Gewissheit, dass das Pilgern den Mainzer Schülerinnen und Schülern echte Glücksgefühle beschert hat. „Ich glaube, mit uns allen ist etwas passiert, was tief in uns eingedrungen ist und woran Theresia ihren Anteil hat“, stellt Eva Weskamp abschließen fest. Was bleibt, ist die gemeinsame Erkenntnisse, dass im scheinbar Gewöhnlichen das Außergewöhnliche steckt.
Von Eva Weskamp und Stephan Kurz-Giesler / mam