Mit Rap gegen Rassismus

  • Gemeinschaft in Vielfalt | 12.07.2021

Esther Bejarano überlebte das Grauen des Holocaust in Auschwitz-Birkenau. Gerettet hat sie ihre Liebe zur Musik: Weil sie Akkordeon spielen konnte, wurde sie Mitglied des Mädchenorchesters. Bis ins hohe Alter berichtete die unermüdliche Mahnerin von ihren Erfahrungen und rappte seit 2008 mit der „Microphone Mafia“ gegen rechts. Am 10. Juli ist Esther Bejarano mit 96 Jahren gestorben.

 

Zuvor hatte sie das Instrument noch nie in der Hand gehabt. Doch wie durch ein Wunder schaffte sie es, die Melodie von „Du hast Glück bei den Frauen, Bel Ami“ auf dem Akkordeon zu spielen. Wenn Esther Bejarano von ihren Erinnerungen an den Holocaust berichtete, spielte der Schlager eine ganz besondere Rolle. „Dieses Lied hat mir das Leben gerettet“, erzählte die damals 94-Jährige 2019 bei einem Besuch im Erzbischöflichen Irmgardis-Gymnasium in Köln.

Bejarano: „Wir waren nur noch Nummern“

In einem Viehwagen wird sie 1943 in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau gebracht. Erst werden der damals 19-Jährigen die Haare geschoren, dann tätowiert ein Wärter die Nummer 41948 in ihren linken Arm. „Namen wurden abgeschafft, wir waren nur noch Nummern“, wie die Jüdin, deren Familie von den Nazis getötet wurde, der Schulgemeinschaft des katholischen Gymnasiums berichtete. Nach einer Zeit in der Arbeitskolonne wird das Mädchen von einer Blockältesten dann für das von der SS neugegründete Mädchenorchester vorgeschlagen. Da es kein Klavier gibt, wählt sie das Akkordeon – und erspielt sich damit eine „Galgenfrist“, wie Bejarano es nannte.

Im Mädchenorchester von Auschwitz

Fortan müssen Esther und die anderen Orchestermitglieder musizieren, wenn neue Judentransporte im Lager ankommen oder Menschen in die Gaskammern geschickt werden. „Wenn sie an uns vorbeifuhren und uns spielen hörten, winkten sie. Sie dachten sicher, wo Musik gespielt wird, kann es so schlimm nicht sein“, erinnerte sich die Zeitzeugin, die bis zu ihrem Tod in Hamburg lebte. Da Bejarano eine christliche Großmutter hat, wird sie später als sogenannter „Mischling“ in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück verlegt. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges kann sie auf einem Todesmarsch fliehen und erlebt die Befreiung durch amerikanische und russische Soldaten. „Ich sage immer, das war nicht meine Befreiung, das war meine zweite Geburt“, so die damals 94-Jährige. Ihre Geschichte hat Esther Bejarano in ihrer Biografie "Erinnerungen" aufgeschrieben.

Nationalsozialismus Thema im Unterricht und darüber hinaus

Viele junge Gesichter saßen an diesem Abend im Juni 2019 bei der Veranstaltung unter dem Motto "Nie wieder Krieg" im Publikum, darunter viele Schülerinnen und Schüler des Erzbischöflichen Irmgardis-Gymnasiums. Die meisten Jugendlichen hatten sich bereits im Unterricht mit dem Nationalsozialismus beschäftigt. „Das Thema wird zweimal behandelt: in der 9. Klasse und in der Oberstufe“, berichtete Deutsch- und Geschichtslehrerin Stefanie Buchholz-Heidweiler, die den Abend von schulischer Seite aus organisiert hatte, am Rand der Veranstaltung. Zudem arbeitet das Gymnasium mit dem Maximilian-Kolbe-Werk zusammen. Dennoch: „Eine Zeitzeugin live zu erleben, ist im Jahr 2019 etwas ganz Besonders“, betonte Schulleiterin Jacqueline Friker in ihrer Begrüßung.

Insgesamt waren knapp 500 Menschen der Einladung des Diözesanrates der Katholiken im Erzbistum Köln gefolgt und die Schulaula war voll besetzt. Auch wenn es irgendwann keine Zeitzeugen mehr geben werde, gelte es „ihr Testament, ihre Erinnerungen wach zu halten und uns gegen Rechtsextremismus, gegen Antisemitismus, für Menschenfreundlichkeit und für eine wehrhafte Demokratie einzusetzen, damit nie wieder Krieg und Terror geschehen“, erklärte der Geschäftsführer des Diözesanrates, Norbert Michels. Der stellvertretende Leiter der Hauptabteilung Schule/Hochschule im Generalvikariat des Erzbistums Köln Peter Krawczack ergänzte: „Wir stehen in der Verantwortung, neuem Unrecht gegenüber jüdischen Mitbürgern zu wehren.“

Mit Musik gegen das Vergessen

Im Anschluss an die Lesung wurde es musikalisch auf der Bühne. Gemeinsam mit Rapper Kutlu Yurtseven (Bild oben, links) und begleitet von ihrem Sohn Yoram Bejarano (Bild oben, rechts) am Bass sang die damals 94-Jährige Lieder der israelischen Friedensbewegung, des jüdischen Widerstands und Arbeiterlieder, wie „Bella Ciao“ und „Avanti Popolo“. Der Kölner Kutlu Yurtseven hatte die Band „Microphone Mafia“ 1989 gemeinsam mit seinem Schulfreund Rossi Pennino gegründet. Beide stammen aus Gastarbeiterfamilien, haben türkische und italienische Wurzeln.

Seit 2008 trat die Band gemeinsam mit Esther Bejarano auf und kann auf viele hundert gemeinsame Konzerte zurückblicken, die meisten davon an Schulen. Es war ihre Art, Jugendlichen Erinnerungsarbeit zugänglich zu machen. „Wenn Esther liest, sind natürlich viele betroffen, aber auch berührt von ihrer Stärke“, erzählte Yurtseven am Rande der Veranstaltung. Zum Abschluss des Abends sang Esther Bejarano dann noch einmal mit fester Stimme „ihr“ Lied: „Du hast Glück bei den Frauen, Bel Ami“. Am 10. Juli 2021 ist sie im Alter von 96 Jahren in Hamburg gestorben.

 

Von Maike Müller

 

 

Virtuelle Zeitzeugen

 

 

Die App „WDR 1933-1945“ holt Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs virtuell ins Klassenzimmer. Mittels Augmented Reality werden die Protagonistinnen und Protagonisten wie Hologramme digital in die jeweilige Umgebung des Users eingebettet. In einem ersten Abschnitt berichten drei Frauen von ihren Erfahrungen als Kinder während des Krieges in London, Leningrad und Köln. In einem neuen Angebot erinnern sich zwei Schulfreundinnen an Anne Frank. Passend zum kostenlosen Angebot gibt es Unterrichtsmaterial. Zudem bietet der WDR Schultouren an. Weitere Informationen rund um die App gibt es auf unserem Partnerportal rpp-katholisch.de und beim WDR:

 

rpp: Meine Freundin Anne Frank

 

Zeitzeugen-App „WDR 1933-1945“

Kontakt:

Erzbischöfliches Irmgardis-Gymnasium Köln

Schillerstraße 98-102

50968 Köln

Tel.: 0221/373282

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