News4teachers: Was müssen Lehrkräfte mitbringen, um in der Schule für die Demokratie eintreten zu können?
Nicole Broder: Lehrkräfte sollten selbst ein hohes Maß an Verständnis von demokratischen Werten mitbringen und auch erkennen können, wann diese unter Druck sind. Das bedeutet, dass sie für alle Formen von Ungleichwertigkeitsideologien sensibilisiert sein sollten, um in einem Konfliktfall auch reagieren zu können. Oftmals ist es leider so, dass Lehrkräfte nur bei bestimmten Aussagen reagieren. Insbesondere Aussagen, die explizit antisemitisch sind, werden von Lehrkräften erkannt und sie reagieren sehr schnell, fast reflexartig. Sexistische oder rassistische Aussagen werden oftmals jedoch nicht ernst genommen bzw. der rassistische Gehalt einer Aussage nicht erkannt. Die Schüler*innen merken jedoch, in welchen Kontexten die Lehrkraft reagiert und in welchen nicht sanktioniert wird. Dies beeinflusst das Miteinander in der Klasse und macht das Eintreten für Demokratie unglaubwürdig.
News4teachers: Mit welchem Informationsbedarf kommen Lehrkräfte zu Ihnen?
Nicole Broder: Lehrkräfte äußern insbesondere Bedarf im Hinblick auf eine Einordnung von Kritik am Staate Israel und den Nahostkonflikt. Aber auch die Frage nach dem Umgang mit Verschwörungsideologien und der darin enthaltene Antisemitismus sind aktuell sehr relevant.
News4teachers: Welche antisemitisch geprägten Situationen erleben Lehrkräfte an Schulen in Deutschland?
Nicole Broder: Aus unserer Einschätzung heraus sehen wir Lehrkräfte vor allem mit einer Verharmlosung des Holocaust konfrontiert oder Aussagen, die den Holocaust relativieren – auch im Hinblick auf eine Kritik an israelischer Politik. In ähnlichem Maße haben sie auch mit antisemitischen Aussagen in Bezug auf den Nahostkonflikt zu tun. Aktuell erleben Lehrkräfte aber vor allem auch einen starken Anstieg von Verschwörungsdenken und der Annahme, mächtige politisch oder ökonomische Eliten hätten einen starken Einfluss auf die Politik und das globale Geschehen.
News4teachers: Mit welchen pädagogischen Konzepten können Lehrkräfte in Konfliktsituationen auf antidemokratische Tendenzen reagieren?
Nicole Broder: Ein grundlegendes Ziel von Bildungskonzepten sollte darin bestehen, eine diskriminierungskritische Haltung zu stärken. Das beinhaltet, Diskriminierung als gesamtgesellschaftliches Problem erkennen zu können, für eigene Verwobenheiten sensibilisiert zu sein und Verantwortung dafür zu übernehmen, diskriminierenden Einstellungen und Handlungen aktiv entgegenzuwirken.
Basis dieser Haltung bildet das in den Menschenrechten verankerte Gleichwertigkeitsprinzip: Alle Menschen sind qua Geburt gleich viel wert. Eine Ungleichbehandlung und Benachteiligung auf Basis von Merkmalen wie Herkunft, Aussehen, Religion, Geschlecht, sexueller Identität, Behinderung, sozialem Status und Alter widerspricht diesem Prinzip fundamental und kann daher auf dessen Basis problematisiert und skandalisiert werden.
Ideologien der Ungleichwertigkeit und die damit gerechtfertigten Diskriminierungsstrukturen sind komplexe und vielschichtige gesellschaftliche Phänomene. Ein wichtiges Ziel der diskriminierungskritischen Bildungsarbeit besteht darin, diese Komplexität sowie Multiperspektivität sichtbar zu machen. Es sollte ein Raum geschaffen werden, in dem unterschiedliche Perspektiven anerkannt und einander widersprechende Meinungen ausgehalten werden können. Statt einfacher Antworten und einer scheinbar klaren Einordnung in „richtig“ und „falsch“ sollten die Teilnehmenden erleben, dass es eben nicht die eine eindeutige Erklärung und Lösung für komplexe Probleme gibt. Kontroversen und Spannungsfelder werden dadurch sicht- und besprechbar.