In erster Linie ist die Drei-Religionen-Grundschule eine ganz normale Schule. Im Unterricht stehen lesen, schreiben und rechnen auf dem Stundenplan. Am Nachmittag gibt es AG´s, Förderangebote und Hausaufgabenbetreuung. Und doch lernen die Mädchen und Jungen noch viel mehr. Toleranz, ein respektvoller und friedlicher Umgang miteinander und Offenheit und Neugier füreinander lauten die pädagogischen Ziele der Johannisgrundschule, wie die trialogische Grundschule auch heißt.
Drei Religionen unter einem Dach
Im September 2012 fing alles an. Die ersten Kinder wurden in die Drei-Religionen Grundschule im niedersächsischen Osnabrück eingeschult. Mittlerweile drücken rund 145 Mädchen und Jungen dort gemeinsam die Schulbank – junge Christen sitzen neben Juden und Muslimen. Für jede der drei Glaubensgemeinschaften steht grundsätzlich ein Drittel der Schulplätze zur Verfügung. Aber auch Kinder mit einer anderen oder ohne Religionszugehörigkeit sind willkommen, wenn ihre Eltern das Schulprogramm mit seinem besonderen religionspädagogischen Konzept mittragen. Tendenziell wachse das Interesse an der Schule derzeit, berichtet Schulleiterin Birgit Jöring. Aktuell gebe es viele Nachfragen ukrainischer Familien, die ihre Kinder auf die Drei-Religionen-Grundschule schicken möchten.

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Die Kernidee der Schule liegt in der Begegnung. Die Kinder sollen die Chance bekommen, die eigene religiöse Identität weiterzuentwickeln, aber auch interreligiösen Dialog altersgemäß zu erleben. Denn „die Gesellschaft wird auch in Zukunft nicht religionslos sein“, betont die Schulstiftung im Konzept der Grundschule. Die Gleichberechtigung der Glaubensgemeinschaften ist ein Grundprinzip – nicht nur zu besonderen Anlässen, sondern ganz alltäglich. Religion ist nichts, was nebenher passiert. Das spiegelt sich auch im Kollegium wider: Die Lehrerinnen und Lehrer sind jüdisch, muslimisch, katholisch, evangelisch und leben ihre Religion. Lehrer, die selbst Kopftuch und Kippa tragen, sind an der Grundschule selbstverständlich.
Auf Entdeckungsreise durch die Weltreligionen
Zwei Stunden in der Woche steht Religionsunterricht auf dem Stundenplan, getrennt nach Glaubensgemeinschaften. Die christlichen Kinder lernen in den ersten beiden Klassenstufen konfessionell-kooperativ, danach konfessionell getrennt. Auf diese Weise sollen die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen religiösen Wurzeln kennenlernen. Doch in Projektwochen kommen die Mädchen und Jungen immer wieder zusammen. Dann arbeiten sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede ihrer Bekenntnisse heraus. Am Beispiel von Festen, Gebeten oder Gotteshäusern gehen die Schülerinnen und Schüler über ihre eigene Perspektive hinaus und lernen die anderen Religionen kennen. Eine Reise vom „Ich über das Du zum Wir“, lautet der Ansatz der Schule.

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Und das schließt die Eltern mit ein. Interessierte Mütter und Väter können regelmäßig Elternabende und Elternseminare besuchen. Das bedeute aber nicht, dass an der Grundschule nur Kinder aus bildungsnahen Elternhäusern unterrichtet würden, betonen die Schulverantwortlichen. Die Schere klaffe auch an der Drei-Religionen-Grundschule auseinander. Wichtig sei, dass jedes Kind die nötige Unterstützung bekomme.
Eine gemeinsame Sache
Trägerin der Drei-Religionen-Grundschule ist die Schulstiftung im Bistum Osnabrück. Sie arbeitet mit der jüdischen Gemeinde Osnabrück, islamischen Verbänden und der Stadt zusammen. Über Fragen, die das religiöse Profil betreffen, berät ein schulischer Beirat aus Vertretern der verschiedenen Religionen und der Schulgemeinschaft. Weitere Impulse gibt ein wissenschaftliches Gremium.
Eine Schule, drei Bekenntnisse - diese Situation an der Drei-Religionen-Grundschule hat vereinzelt auch für Kritik gesorgt. „Der Hauptvorwurf war immer, dass alles nur noch eine große Gemengelage wäre“, berichtete die damalige stellvertretende Leiterin der Schulabteilung im Bistum Osnabrück, Claudia Sturm, auf Anfrage im Jahr 2017. Dem könnten die Erfahrungen im Schulalltag und eine wissenschaftliche Evaluation entgegengehalten werden, sagte die Schulrätin damals. So werde ein Thema, wie zum Beispiel Gebetsräume, Alltagsgegenstände der Religionen oder die Heiligen Schriften, zuerst im eigenen Religionsunterricht erarbeitet. Das Gelernte geben die Kinder dann an ihre Mitschüler weiter, die nicht ihrer Religion angehören und später an ihre Mütter und Väter. „Sie erweitern durch diese Schritte ihr religiöses Verständnis, ihre Toleranz und Akzeptanz gegenüber den Menschen der anderen Religionen“, erklärte Sturm.
Antisemitismus in den Blick nehmen
Die Arbeit an diesem Prinzip hat sich stetig weiterentwickelt. Seit August 2019 engagiert sich die Schulstiftung im Bistum Osnabrück vermehrt in der Antisemitismusprävention. Rabbiner Efraim Yehoud-Desel steht allen Stiftungsschulen als Experte zur Verfügung, vor allem im Hinblick auf die Darstellung der jüdischen Religion im katholischen, evangelischen und islamischen Religionsunterricht. Als Reaktion auf den Anschlag auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019 hat er die Aktion „Zusammen gegen Antisemitismus“ ins Leben gerufen, mit der die Stiftungsschulen Stellung gegen Judenfeindlichkeit und Diskriminierung beziehen. In diesem Zusammenhang ist auch das ökumenische Gütesiegel für Antisemitismusprävention und -intervention an kirchlichen Schulen entstanden. Die Drei-Religionen-Grundschule hat sich mit einem interreligiösen Toleranzprojekt für die Auszeichnung beworben, wie Schulleiterin Birgit Jöring berichtet. Ziel sei es, eine interreligiöse Wertschätzung mit in den Blick zu nehmen, ohne jedoch die Arbeit gegen den Antisemitismus zu vernachlässigen.

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Keine Einschulung am Schabbat
Die Bereitschaft miteinander und voneinander zu lernen, macht die Osnabrücker Drei-Religionen-Grundschule zu einem interreligiösen Lernort. Aber der Alltag in dieser besonderen Schule bedeutet auch: Lösungen finden, die für alle machbar sind. Welche Süßigkeiten sind halal und koscher und können an Geburtstagen bedenkenlos in der Schule verteilt werden? Nach welchen Festen muss sich der Schulkalender richten, um niemanden einzuschränken?
Mit Fragen wie diesen haben sich die Lehrerinnen und Lehrer besonders in der Anfangsphase auseinandergesetzt. Doch für alles gibt es eine Lösung. Die Schule ist vorbereitet und hat Erfahrungen gesammelt. Eine Liste sorgt für Klarheit über Naschereien, die die Speisevorschriften in Judentum und Islam erlauben, das Mittagessen wird getrennt verpackt angeliefert, ein interreligiöser Schulkalender informiert über die wichtigsten Feste und Einschulungen finden nicht am Samstag statt, dem Schabbat.
Mit viel Fingerspitzengefühl klappt es, das interreligiöse Miteinander im Schulalltag. Das verdeutlicht auch das Logo der Schule: Kreuz, Menora und Halbmond, die durch einen Kreis miteinander verbunden sind – Religion, die verbindet.
Von Maike Müller
*Hinweis: Dieser Artikel ist eine grundlegend aktualisierte Version eines Textes aus dem Jahr 2017, der ebenfalls hier auf katholische-schulen.de erschienen ist.