Religionsunterricht ist Menschenbildung – darin waren sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf dem Podium im Forum Bildungsperspektiven auf der didacta in Stuttgart einig. In diesem Jahr stand die Diskussionsveranstaltung unter dem Thema „Menschenrechte – jetzt erst recht!“. Anwesend waren unter anderem die Ministerin für Kultur, Jugend und Sport in Baden-Württemberg, Theresa Schopper, die Landesbischöfin der Evangelischen Landeskirche Baden, Dr. Heike Springhart, und der Theologe Prof. Dr. Thomas Schlag von der Universität Zürich.
Medienbildung für alle Schularten
Gleich zu Beginn machte die Ministerin für Kultur, Jugend und Sport in Baden-Württemberg, Theresa Schopper, deutlich, warum Medienbildung in Schulen eine deutliche Aufwertung erfahren hat und auch in Zukunft erfahren muss. Kinder wachsen heute mit vielen digitalen Geräten auf, sagte die Ministerin. „Wir brauchen Medienbildung in allen Schularten. Die Auseinandersetzung mit den Einflüssen, die Demokratie gefährden, wie beispielsweise Fake News, erreicht unsere Kinder ungebremst“, stellte Ministerin Schopper fest. Doch welche Rolle spielt religiöse Bildung mit Blick auf Menschenrechte an den Schulen?

Auf dem Podium mit Kirchenstandmoderator Daniel Schneider: Theresa Schopper, Ministerin für Kultur, Jugend und Sport in Baden-Württemberg, Landesbischöfin Dr. Heike Springhart und Prof. Dr. Thomas Schlag (v.li.n.re.)
Unterricht ist nicht nur Wissensvermittlung
Wolfgang Schmidt, Oberkirchenrat und verantwortlich für die Bildungsarbeit der Landeskirche im Referat Bildung und Erziehung in Schule und Gemeinde, sah vor allem die Lehrkräfte bei dieser Frage angesprochen. Der Oberkirchenrat übernahm zunächst die Rolle der Landesbischöfin auf dem Podium, da diese sich aufgrund erhöhten Verkehrsaufkommens verspätete. „Nach meinem Verständnis hat religiöse Bildung viel mit Beziehung zu tun. Das Beziehungsgeschehen zwischen Lehrperson und Schülerinnen und Schülern im Religionsunterricht spielt eine große Rolle“, sagte Wolfgang Schmidt. „Im Religionsunterricht haben auch Themen wie Empathie oder Verständnis für die Situation des anderen einen Platz, die in dieser Weise schwer über digitale Kommunikation einzuholen sind“, sagte der Oberkirchenrat. Unterricht sei nicht in erster Linie Wissensvermittlung. Es gehe vor allem um eine Haltung. An dieser Stelle habe die präsentische Kommunikation der Lehrkraft einen hohen Stellenwert.
Bildungsverantwortung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Vor dem Hintergrund des schweizerischen Bildungssystems warnte Thomas Schlag davor, den Schulen die alleinige Verantwortung für die digitale Medienbildung von Kindern und Jugendlichen zu übertragen. Bildungsverantwortung hätten alle Player auf den unterschiedlichen Ebenen, sagte der Theologe. „Es gibt ja in der Pädagogik den schönen Satz: Für die Erziehung braucht es ein ganzes Dorf. Ich würde davor warnen, zu sagen die Schule ist das Allheilmittel für das, was auch auf anderen Bildungsebenen notwendig zu regeln ist.“ Niemand könne sagen, wohin sich KI entwickeln würde. An vielen Stellen würden die Diskrepanzen sicherlich noch problematischer und schwieriger werden als sie schon sind, sagte Thomas Schlag. Schulen müssten sich ernsthaft fragen, an welchen Stellen sie zur Sensibilisierung im Umgang mit Medien einen Beitrag leisten könnten. „Der Religionsunterricht mit seinen wenigen zur Verfügung stehenden Wochenstunden darf mit dieser Aufgabe nicht überfordert werden.“
Religiöse Bildung ist für die Gesellschaft unerlässlich
Vor diesem Hintergrund lobte Ministerin Schopper die länderübergreifende Zusammenarbeit der demokratischen Parteien. Dabei verwies die Ministerin auf ihre Bildungsreform, die klare Bildungsziele formuliert, um sprachlichen Defiziten und Förderbedarf von Kindern und Jugendlichen zu begegnen.
In Bezug auf die Bedeutung der religiösen Bildung an Schulen machte mittlerweile die eingetroffene evangelische Landesbischöfin Heike Springart klar, dass sie unerlässlich sei für die heutige Gesellschaft.
„Wer ein starkes Fundament hat, kann auch offen anderen begegnen.“
„Religiöse Bildung trägt wesentlich dazu bei, dass junge Menschen dazu ermutigt, befähigt und empowert werden, zu sich zu stehen, sich auseinander zu setzen mit dem, was sie selbst und diese Welt trägt“, sagte die Bischöfin. „Orientierung zu bekommen und sich damit auseinanderzusetzen, wie mit unterschiedlichen Haltungen im Leben umzugehen ist, ist eine wesentliche Kompetenz. Gerade in unserer Gesellschaft heute in der kritischen Auseinandersetzung. Wer ein starkes Fundament hat, kann auch offen anderen begegnen.“
Religionsunterricht in Deutschland ist hochprofessionell
Thomas Schlag verwies auf die verschiedenen Dimensionen des Menschen, die durch religiöse Bildung entstehen könnten. Dabei lobte er den Religionsunterricht in Deutschland als „hochprofessionell in Lehre, in Aus- und Weiterbildung“. Er warnte vor diesem Hintergrund davor obligatorisch einen Religionsunterricht für alle einzuführen. „Wenn der schulische Kontext einen Raum dafür gibt, dass Kinder und Jugendliche sagen, ich konnte hier über Fragen des Lebens sprechen, dann eröffnen wir die Erfahrung, dass sie selbst im Zentrum des Unterrichts stehen“, sagte Thomas Schlag.
Einsatz für Menschlichkeit
Die Landesbischöfin nutzte die Gelegenheit, um auf aktuelle politische Konflikte hinzuweisen. „Der Einsatz dafür, dass die Menschlichkeit nicht verloren geht, ist das, worum es uns allen gehen muss“, sagte sie. „Und das wird dann natürlich konkret, wenn es um Menschenrechte geht, wenn es um den Umgang mit menschlichem Leben und mit den anderen Menschen geht. Wie sorgen wir dafür, dass wir in der derzeitigen Situation gesellschaftlich nicht noch weiter auseinanderdriften, dass Polarisierung nicht noch tiefere Gräben reist?“, sagte Heike Springhart. „Wie können wir als Kirchen Verständigungsräume offenhalten, dass auch über kontroverse Themen fair und mit dem klaren Blick für Menschlichkeit geredet wird?“ Aufgabe der Kirchen sei es, zusätzlich klarzumachen, dass es rote Linien an menschenverachtender und diskriminierender Rede gäbe, zu denen man klar „nein“ sage. Hoffnung mache ihr zurzeit, dass ihr Leben und das gesellschaftliche Miteinander in einen Hoffnungshorizont eingebettet sei, in dem sie als Christin verortet sei. „Das heißt, dass es immer etwas gibt, auf das wir hinleben können. Jeder Mensch, aus welchem Hintergrund auch immer, ist geliebtes Kind Gottes. Und es gibt Menschen, die dafür einstehen.“
Forum Bildungsperspektiven als Brücke zwischen Kirche und Gesellschaft
Das Forum Bildungsperspektiven bildet den Höhepunkt des Programms am Stand der Kirchen auf der didacta. Unter der Moderation von Daniel Schneider veranstaltet das Team des Kirchenstandes jedes Jahr im Forum eine Diskussionsrunde mit namhaften Persönlichkeiten aus Kirche, Gesellschaft und Politik. Damit schlägt das Programm die Brücke zwischen aktuellen kontrovers im öffentlichen Leben diskutierten Themen zu religions- und kirchenpolitischen Anliegen und macht so einmal mehr deutlich wie die Kirchen inmitten der Gesellschaft stehen.
(ck/mam)
Fotos: Maike Müller