Hans-Gert Pöttering, Präsident des Europäischen Parlaments a. D. warb in seinem Einführungsreferat durch ein engagiertes Plädoyer für das „Friedens- und Versöhnungsprojekt Europa“. Er hob bedeutsame Momente des Europäischen Einigungsprozesses hervor, von der Mitte des letzten Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Dem Rechtspopulismus könne man nur mit den politischen Werten der Demokratie begegnen. Grundlegend seien „die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung“ sowie das Solidaritäts- und Subsidiaritätsprinzip. In den Schulen sieht Pöttering prädestinierte Orte für die Wertevermittlung. Gegenüber der landläufigen Meinung, Europapolitik werde ausschließlich in Brüssel und Straßburg gemacht, vertrat er die Auffassung, dass Europa Gegentand der Kommunal-, Landes- und Bundespolitik werden müsse. Nur so könne man Demokratie in Europa gestalten und fördern.
Hans-Gert Pöttering, Präsident des Europäischen Parlaments a.D. - © Angela Krüger
Katholische Schulen als Orte mit Chance auf Begegnung
Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf wählte mit seinem Vortrag „Schule als Stadt – Vom Risiko der Begegnung“ einen pastoraltheologischen Zugang zu der Thematik. Anhand biblischer und frühchristlicher Texte stellte er dar, dass das Christentum von Anfang in die Städte gegangen sei. Dabei entwickelte er Analogien zwischen der Verkündigung in der Urkirche und der Gegenwart. Schon Paulus hatte sich dem „Wagnis des Scheiterns ausgesetzt („Darüber wollen wir dich ein andermal hören“ - Apg. 17,33) und zugleich die Chance ergriffen, dass Menschen sich von der Botschaft berühren lassen könnten. Pluralität und Ambivalenz seien grundlegende Charakteristika der Städte damals wie heute. Als Merkmale der Gegenwart nannte er „Belanglosigkeit, Bequemlichkeit, Technikgläubigkeit, das Streben nach Sicherheit und Macht“ auf der einen Seite. Auf der anderen Seite betonte er die Erfahrung, dass Städte „Orte gelebter Nächstenliebe, Verantwortung, Toleranz, des Bewusstseins begrenzter Machbarkeit und der Begegnung mit den Armen“ sind.
Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf - © Bistum Mainz
Den metaphorischen Brückenschlag zur Institution Schule in einer pluralen Gesellschaft fasste Bischof Kohlgraf in die These: „Katholische Schulen sind Orte, in denen die Kirche sich der Chance der Begegnung stellt.“ Sie seien heute „kein Bollwerk“ der Abgrenzung hinter sicheren Stadtmauern, sondern Orte, an den junge Menschen den „Umgang mit Realität erlernen.“
Bischof Kohlgraf: Glaube darf kein lebensfremdes Angebot sein
Die Fähigkeit zur Begegnung betrachtete der Mainzer Oberhirte als die vorrangige Kompetenz, die es zu erlernen gilt. Friede, Versöhnung, Übernahme von Verantwortung und Bewahrung Schöpfung seien Werte, die nur in einem personalen Prozess vermittelt werden können. Christlicher Glaube dürfe „kein lebensfremdes Angebot sein“, die kritische Distanz gegenüber entfremdenden Mechanísmen unserer Zeit eingeschlossen, sagte Kohlgraf. Der Maßstab bleibe das Evangelium.
Bischof Kohlgraf stellte zudem heraus, dass die Spurensuche Gottes in unserer Welt ein „ökumenisches Projekt“ sei. Den Glauben zu leben, das bedeute Kultur zu verändern „in kapillarer Verbreitung“. Damals wie heute komme der Glaube in das „Fremde“ und in „dem Fremden“ begegnet uns Christus. Mit Blick auf die Zukunft der Schulen, der Städte, der Staaten Europas formulierte er: „Wir brauchen die Vielfalt der Menschen, um uns von etwas Größerem berühren zu lassen.“
Kuhn: Laudato si als "Bildungsenzyklika"
Michael Kuhn, von 2009 bis 2018 stellvertretender Generalsekretär der COMECE in Brüssel, zeigte auf der Basis der Enzyklika „Laudato si“ Wege zu einem „neuen europäischen Humanismus“ auf. Er legte den Text als eine „Bildungsenzyklika“ aus, von der man die „kritische Analyse“ lernen könne, mit dem Ziel der „Ermutigung, unerschrocken an der notwendigen Veränderung zu arbeiten“. Im Anschluss an eine differenzierte Analyse gegenwärtiger Krisen in Europa entwickelte Kuhn fünf Thesen als Richtungsweiser für die Bildungs- und Erziehungsarbeit.
Michael Kuhn während seines Vortrags auf der ODIV-Jahrestagung 2018 - © Angela Krüger
These 1: Katholische Weite in einer Zeit zunehmender Pluralisierung gegenüber einem in die Enge führenden Reduktionismus auf "das Eigene"
Gegen jegliche totalitäre Vereinfachung stellt Kuhn das Postulat auf, dass Kirche die "Vielzahl der Möglichkeiten als Chance erkennen" müsse. Um den Wert der Verschiedenheit schätzen zu können, bedürfe es des Wissens um die eigenen Wurzeln und die eigene Herkunft.
These 2: Meinungsunterschiede respektieren und Dialog einüben lernen
Nach Kuhn ist es - Papst Franziskus folgend - der wichtigste Beitrag der Schule zur Friedenserziehung, die "Werkzeuge" des Dialogs und der Konfliktlösung zu vermitteln.
These 3: Ein Gleichgewicht zwischen Generalist und Spezialist finden lernen
Kuhn hebt hervor, dass es unverzichtbar sei, den Schülerinnen und Schülern die Fähigkeit zu vermitteln, in größeren Zusammenhängen zu denken. Dies sei umso dringlicher, je unübersichtlicher und komplexer die Welt werde. Um Halbwahrheiten und Fake News zu begegnen, brauche "die Demokratie das Wissen des Generalisten, des gebildeten Bürgers".
These 4: Die eigene Berufung finden und Meister werden
Teilhabe und Einsatz für den Aufbau der Gesellschaft gelingt nach Kuhn, wenn die Schule das Bestmögliche an Talenten und Fähigkeiten fördert und jungen Menschen hilft, ihre Berufung zu finden.
These 5: In die Tiefe gehen und sein besseres Selbst finden
Mit seiner letzten These verdeutlichte Kuhn, dass der Kern des Bildungsprozesses die Suche nach der Identität ist. Dabei sei die "Kontemplation", die "Haltung des Zu- und Hinhörenkönnens" ein wichtiges Element, damit junge Menschen ihren eigenen Weg finden können.
Kuhn schloss im Anschluss an die Vision des Papstes zur Zukunft Europas mit einem positiven, hoffnungsvollen Ausblick: "Mit Menschen, die den Mut zum Träumen mit der Aktion und dem Handeln verbinden, muss es möglich sein, schrittweise eine Kultur aufzubauen, durch die Veränderung möglich wird."
Von Sr. M. Ulrike Michalski / mam